Tom Lamberty über Nicht-Marken und wie man damit den Deutschen Verlagspreis gewinnt
Lieber Tom, schön, dass du dir die Zeit für ein paar Fragen von uns nimmst. Erzähl uns gern zu allererst einmal, wer oder was ist der Merve Verlag?

© Merve
Die Merve wurde 1970 gegründet. Sie produziert und distribuiert Bücher. Sie hat verschiedene Organisationsmodalitäten (Kollektiv, Amour Fou, Pas de Deux, Menage a Trois, Rhizom usf.) ausprobiert und überlebt. Sie hat sich wenig geändert, was ihre Kleidungsvorlieben anbelangt. Sie geht weiterhin gerne aus, um Texte kennenzulernen, die sie noch nicht kannte.
Diesen Monat beschäftigen wir uns im Forschungsprojekt intensiv mit dem Thema „Markenbildung in der Buchbranche“. Können Verlage sich als Marke etablieren, was meinst du?
Dass sie das können, steht für mich außer Zweifel. Zweifelhaft bleibt die Frage, ob sie es sollten. Marke ist ein toller Begriff, weil so viel drinsteckt: von der Essenz (Knochenmark) über die Bezeichnung (Markierung), das Münzgeld (Ostmark), die Abgrenzung (Dänemark) bis zum Tauschplatz (Markt). Wer seine Haut zu Markte trägt, kommt ergo schwer am Risiko vorbei, zu einer Marke zu werden, da er das schlichtweg nicht in der Hand hat, sondern es von den anderen Marktbesuchern abhängt.
Wie würdest du die Marke Merve beschreiben?
Dazu müsste ich ja eine Marke sein wollen. Verlag ist mir lieber, also besser die Anderen fragen.
Dem Merve Verlag wurde letzte Woche als einem von 60 der Deutsche Verlagspreis 2020 verliehen, der jeweils mit 10.000 Euro dotiert ist. Herzlichen Glückwunsch! Was denkst oder fühlst du gerade dazu?
„Macht euch locker!“, wie Klaus Lemke letztes Wochenende der SZ sagte. Und ich dachte, es sind 20.000 € und für drei kulturell besonders wertvolle Vertreter*innen gleich 60.000 €?
In der Ausschreibung des Deutschen Verlagspreises heißt es, dass das Verlagsprogramm, kulturelles Engagement, die Innovativität der Projekte und eine besondere Qualität der verlegerischen Arbeit für die Auswahl entscheidend sind. Welches Augenmerk hast du als Verleger bei der Bewerbung um den Preis gesetzt. Oder anders gefragt: Was ist dein verlegerisches Alleinstellungsmerkmal?
Dass ich kein Verlag bin und auch keiner mehr werden kann.
Wie findest du dein Programm, neue Themen, Titel und Autor*innen?
Zuerst dachte ich, es sei gemeint, wie ich sie finde: super! Dann hat es zum Glück noch gefunkt: Peter Gente hätte wohl geantwortet: Die Texte finden mich, nicht ich sie. Das habe ich wirklich von ihm gelernt.
In der Begründung von Kulturministerin Monika Grütters heißt es zu den Gewinner*innen, dass sie „sich thematisch und stilistisch von Markttrends und vom Massengeschmack abheben“. Wie verhält sich der Merve Verlag zu Markttrends und Massengeschmack?
Puh, ganz schön abgehoben. Nun denn, wie Monika Grütters zu Gegen-den-Strom und Elitengeschwätz. Einer meiner All-Time-Favorites bei Merve nennt sich „Dreaming the Mainstream“, den haben wir Mark von Schlegell zu verdanken. Das kommt besser hin.
Zwei unserer assoziierten Verlage, der Merve Verlag und Hentrich & Hentrich, gehören in diesem Jahr zu den Preisträgern. Beide Verlage verzeichnen einen Inhaberwechsel in ihrer Historie. Ihr seid also jeweils die nächste Verleger*innen-Generation, wenn man so will. Welches Entwicklungs- und Veränderungspotenzial besitzen Verlagsmarken deiner Meinung nach?
Das zeigt ja erstmal, dass auch Verleger*innen nicht zu den Unsterblichen gehören. Verlagsmarken müssen sich zwangsweise verändern oder entwickeln, da sich ihr Umfeld verändert und entwickelt, also auch, wenn sie gleich bleiben wollen, geht das nicht ohne Arbeit von statten. Potenzial ist per se vorhanden, die Frage stellt sich eher, wie und in welcher Hinsicht es entwickelt wird. Da – Pauschalaussage – scheinen mir Verlage sich mehrheitlich auf der einerseits machterhaltenden und andererseits kulturpessimistischen Seite zu befinden. Darob ja auch die ganze Freude darüber, endlich auch Teil staatlicher Subventionsausschüttungen geworden zu sein.
Und zuletzt: Stell uns doch gern kurz ein Buchprojekt des Merve Verlags vor, das sinnbildhaft für sein Programm steht. Wir sind neugierig!
Nach Sinnbildern steht uns nicht ganz so der Sinn. Dies vorausgeschickt, sind sicherlich die Polyautor*innentitel Beispiele, an denen sich die Veränderungen in der Erarbeitung und Übertragung von Theorie gerade am schönsten und elegantesten zeigen, so etwa Stefano Harney & Fred Moten: Eine Poetik der Undercommons; Armen Avanessian & Anke Hennig: I – I. Spekulative Poetik von Feminismus, Algorithmik, Politik und Kapital; Tom Keenan, Eyal Weizman: Mengeles Schädel. Kurze Geschichte der forensischen Ästhetik; Isabel Waidner & Ann Cotten: Geile Deko.
Herzlichen Dank für das Interview, Tom Lamberty!
Ich danke für das Interesse und die vielen Fragen!