Gedanken zum Verlagsvertrieb von Kirsten Witte-Hofmann

Kirsten Witte-Hofmann © Effektrausch, Katharina Gleß
Kirsten Witte-Hofmann arbeitete zehn Jahre in der Verlagsbranche, bevor sie ihren eigenen Verlag edition überland im Dezember 2018 gründete. Bisher hat sie dort fünf Bücher verschiedener Autor*innen veröffentlicht. Sie studierte Theaterwissenschaften und Germanistik in Leipzig, arbeitete danach als freiberufliche Lektorin für unterschiedliche Verlage, bevor sie für einige Jahre im Lektorat der Verlagsgruppe Seemann Henschel tätig war. Zuletzt betreute und verantwortete sie dort als Programmleiterin den Verlag Edition Leipzig. Im Interview mit ihr sprachen wir über analoge und digitale Vertriebswege für Kleinverlage, Beziehungsmanagement und kollaborative Messe- und Marktteilnahmen.
Liebe Kirsten, schön, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Erzähl uns gern zuallererst einmal, wer ist die edition überland?
edition überland ist ein noch junger Leipziger Verlag, der im Dezember 2018 sein erstes Buch auf den Markt gebracht hat. Mit einem Programm aus Sachbüchern und Belletristik steht der Verlag vor allem für regionale und gesellschaftsrelevante Themen. Bisher erschienen sind eine Erzählung und ein Roman von Barbara Handke, feuilletonistische Texte von Barbara Thériault, ein Leipzigbuch von Sebastian Ringel (ein zweites ist für den Herbst 2020 in Arbeit) und ein Sachbuch über das Thema Arbeit in Sachsen, das von Johannes Kiess herausgegeben worden ist. Im Herbst erscheinen auch die autobiografischen Miniaturen von Claudia Bierschenk.
Diesen Monat möchten wir uns im Forschungsprojekt intensiv mit Vertriebsthemen beschäftigen. Welche Vertriebskanäle bespielst du mit deinem Verlag?
Für die edition überland spielen, wie für wahrscheinlich die meisten Verlage, sowohl die direkten als auch indirekten Vertriebskanäle eine große Rolle, wobei ich auch noch nicht alle Vertriebskanäle gänzlich erschließen konnte. Von Anfang an gibt es den verlagseigenen Onlineshop, der mittlerweile für Kund*innen aus vielen Ländern zugänglich ist. Auch der Buchhandel (Sortiment, Bahnhofsbuchhandel, Internetbuchhandel) ist seit der Gründung ein wichtiger Absatzmarkt für unsere Bücher und E-Books. Zunehmend interessanter wird der Direktverkauf auf Messen und Märkten oder Verlagsveranstaltungen, aber auch der Verkauf an Großkunden ist ein bereits etablierter Vertriebskanal.
Was ist dein relevantester Vertriebskanal und warum, glaubst du, ist das so?
Der relevanteste Vertriebskanal ist für edition überland der Buchhandel, der für die meisten Verlage der wichtigste Absatzmarkt ist. Ich bin im letzten Jahr selbst zu vielen Buchhandlungen gefahren und habe den Kontakt vor allem zu inhabergeführten Geschäften gesucht, um das Verlagsprogramm vorzustellen. Dass die Autorinnen und Autoren des Verlags gute Kontakte zu einigen Buchhandlungen pflegen, ist ebenfalls sehr hilfreich, diesen Vertriebsweg bespielen zu können.
Hast du schon einmal darüber nachgedacht, den Service einer freien Verlagsvertretung zu beziehen?
Ich habe schon sehr oft darüber nachgedacht und auch schon einige Vertreter*innen angesprochen. Jedoch hat sich hier noch keine Kooperation ergeben.
Welche Rolle spielen Lesungen, Messen und Märkte, Orte also, an denen du direkt mit den Endkund*innen in Kontakt kommst, für den Verkauf deiner Bücher?
Auch das hat für mich seit der Gründung des Verlags immer eine wichtige Rolle gespielt, wobei ich bei Lesungen den Schwerpunkt nicht direkt im Verkauf sehe. Es geht eher darum, präsent zu sein, den Autor*innen Öffentlichkeit zu bieten und auch den Kontakt zu unseren Leser*innen herzustellen und zu festigen. Bei Messen und Märkten sieht das schon ganz anders aus. Hier stehen das Produkt und der Verkauf im Fokus.
Stichwort „Vertriebskooperation“. Seit letztem Sommer arbeitest du an einer Art vertrieblichem Zusammenschluss einiger Leipziger Verlage, die du dann bspw. in Buchhandlungen, auf Messen und Märkten gemeinschaftlich präsentierst. Welche Ziele strebst du damit an und wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit diesem Prinzip?
Es handelt sich bei dieser Kooperation bisher um Verlage, die alle (noch) ohne Vertreter*innen arbeiten. Das Prinzip Verlagsvertretung hat bei der Umsetzung dieser Idee jedoch eine große Rolle gespielt. Ich wollte gerne mit einer größeren Auswahl an Büchern direkt zu den Buchhändler*innen fahren und diese dort präsentieren. Zum einen ging es darum, die Verlage bei den Buchhandlungen bekannt zu machen, zum anderen darum, Umsatz zu generieren. Es ist kein einfaches Vorhaben, da viel organisiert, vor- und nachbereitet werden muss. Und es gibt nur Teilerfolge. Jedoch hoffe ich, durch den persönlichen Kontakt zu den Buchhändler*innen die Geschäftsbeziehungen stetig ausbauen zu können.
2019 hast du – auch in einer Art vertrieblich-kollaborativen Zusammenarbeit verschiedener Leipziger Verlage und Künstler*innen – für mehrere Wochen einen Bücherstand auf einem regionalen Weihnachtsmarkt organisiert und geleitet. Kannst du ein bisschen über diese Vertriebsmaßnahme berichten?
Die Idee, einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt zu organisieren, entstand gemeinsam mit Barbara Handke und Sebastian Ringel. Sebastian hatte bereits Erfahrung im Verkauf auf dem Weihnachtsmarkt, sodass wir es als gute Möglichkeit gesehen haben, unsere Leser*innen dort direkt zu erreichen. Um das Angebot am Stand etwas zu erweitern, habe ich überlegt, was und wer noch zu uns passt, und dann gefragt, ob sie gerne dabei wären.
War die Teilnahme am Weihnachtsmarkt, eine sicher zeit-, personal- und kostenintensive Investition, letztendlich rentabel für den Verlag? Inwiefern?
Diese Aktion war vor allem zeit- und personalintensiv und sehr anstrengend. Die Kosten selbst blieben jedoch überschaubar, denn wir hatten uns alle darauf geeinigt, dass die Arbeit freiwillig und unentgeltlich blieb. So waren es nur die Kosten für den Stand, die aufgebracht werden mussten. Finanziell hat es sich sicher vor allem durch diese Freiwilligkeit und das Engagement aller Beteiligten gelohnt. Was ebenfalls spürbar war, dass wir als Verlage durch diese Aktion einige Aufmerksamkeit erhalten haben. So wurden zum Beispiel potenzielle Autor*innen auf uns aufmerksam, manche Besucher*innen habe ich später auf Lesungen wiedergetroffen und ich wurde noch lange Zeit danach auf den Stand angesprochen. Bücher sind nicht so ganz typische Produkte, die auf mittelalterlichen Weihnachtsmärkten angeboten werden. Deshalb blieb unser Stand wohl besonders in den Köpfen hängen.
Welche weiteren Aspekte neben dem Vertrieb der eigenen Produkte machen Markt- und Messeauftritte für dich als Verlegerin interessant?
Ein wichtiger Aspekt ist der persönliche Kontakt zu den Endkund*innen. Man bekommt einige Rückmeldungen zum Verlagsprogramm, spürt das Interesse, an dem, was der Verlag macht. Es geht also viel um Kund*innenbindung. Aber auch der Auf- und Ausbau eines beruflichen Netzwerkes ist ein wichtiger Grund. Zu sehen, wie beispielsweise andere Verlage sich präsentieren, Ideen auszutauschen, aber auch über die Schwierigkeiten zu sprechen, die im Verlagsalltag immer wieder auftauchen, machen vor allem die Besuche der Kleinmessen für mich besonders interessant.
Hast du im Zuge der Pandemie neue Vertriebsstrategien innerhalb und außerhalb der Buchbranche beobachtet, die du auch für die edition überland interessant findest?
Neue Vertriebsstrategien? Das kann ich gar nicht so direkt beantworten. Auch wenn auffällig ist, dass die digitalen Vertriebsstrategien im besonderen Fokus vieler Unternehmen stehen, die Digitalisierung selbst dadurch äußerst wichtig geworden ist. Viel dreht sich nun viel stärker um das digitale Marketing, so haben Social Media, E-Mail-Marketing oder auch Onlinewerbung einen anderen Stellenwert als vorher. Diese rasante Verschiebung ist für mich das Neue. Das ist für den Verlag ebenso relevant wie interessant und spielt deshalb auch bei meiner Arbeit eine wichtige Rolle.
Herzlichen Dank für das Interview, liebe Kirsten Witte-Hofmann, und einen ertragreichen Lesesommer für die edition überland!