„Wir leben von etwas, das jetzt viele Menschen brauchen: Bücher.“

Ludwig Lohmann
Foto: © S. Hawlisch
Heute möchten wir Ihnen Ludwig Lohmann vorstellen. Er ist als Buchhändler bei ocelot, not another bookstore in Berlin tätig, hat Literaturwissenschaft studiert und 2019 zusammen mit seiner Kollegin Maria-Christina Piwowarski nebenberuflich die Agentur blauschwarzberlin gegründet. Bücher sind sein Leben, literaturvermittelnde Formate und Veranstaltungen sein Job, die Sichtbarmachung unabhängiger Verlage seine Herzensangelegenheit. Seit Mittwoch, 18.03.30, radelt er als mobile ocelot-Buchhandlung mit dem Rad durch Berlin, um seine Kund*innen mit neuem Lesestoff zu versorgen. Wir haben mit Ludwig zur aktuellen Lage und ihren Auswirkungen auf die Buchbranche gesprochen.
Lieber Ludwig, danke dass du dir die Zeit für uns nimmst! Erzähl uns, wie gehen du und deine Kolleg*innen, tätig im stationären Buchhandel und kulturellen Eventmanagement, mit der aktuellen Situation um, dass in den kommenden Wochen, vielleicht sogar Monaten, keine physischen Events planmäßig stattfinden können?
Für uns als veranstaltende Buchhandlung ist das eine große Herausforderung. Wir müssen unsere Entscheidungen einer sich ständig verändernden Nachrichtenlage anpassen. Was heute noch möglich ist, kann morgen schon zu gefährlich/verboten sein. Am wichtigsten für uns ist es im Moment, dass wir unsere Kund*innen, Autor*innen und Kooperationspartner*innen keinem gesundheitlichen Risiko aussetzen. Deswegen haben wir schon letzte Woche alle Veranstaltungen bis Ende April abgesagt. Für die geplanten Einzellesungen mit Pierre Jarawan und Catherine Newmark haben wir den Verlagen und Autor*innen digitale Alternativen angeboten, uns jedoch dann gemeinsam auf neue Termine im Sommer geeinigt. Beiden war es wichtiger, vor physisch anwesendem Publikum das Erscheinen ihres Buches zu feiern.
Außerdem hatten wir noch einen Lesekreis geplant, der wird nun ebenfalls auf unbestimmte Zeit verschoben.
Was die physischen Veranstaltungen in der weiteren Zukunft betrifft, kann ich es nur schwer sagen, denn niemand weiß, ab wann sowas wieder möglich sein wird. In unserem Netzwerk haben wir für den 23. Mai eine große Veranstaltung geplant („Schreiben gegen die Norm“) mit vielen Autor*innen, DJane, Industriesponsoring und einer konzertierten Kampagne. Das steht bereits alles. Ob und wie wir das nun in digitale Formate transformieren, hängt von der Entwicklung der Nachrichtenlage ab.

Isabel Bogdan & Ludwig Lohmann
Foto: © S. Hawlisch
Was wird nun aus Branchenevents wie dem Indiebookday (21.03.20), dem Welttag des Buches (23.04.20), #verlagebesuchen (23.-26.04.20) und #meethepublisherDE (Instagram-Challenge 24.03.-01.04.20)? Habt ihr schon kreative Planänderungen besprochen bei ocelot und/oder blauschwarzberlin?
Für den Indiebookday hatten wir ein Festival mit 12 Verlagen und 7 Stunden Bühnenprogramm bei uns im ocelot geplant. Der kann in der Form natürlich nicht stattfinden. Wir haben die physische Veranstaltung ersatzlos gestrichen, was für uns extrem bitter ist, denn es ist für uns die wichtigste Veranstaltung des Jahres. Wir versuchen nun über unsere digitalen Kanäle so viel Aufmerksamkeit, wie möglich auf die Arbeit der unabhängigen Verlage zu lenken. Das werden Fotos und Stories auf Instagram sein und ausführlichere Kritiken auf unserer Website.
Aufwändigere digitale Veranstaltungsformate konnten wir bisher noch nicht planen, da für uns als Buchhändler*innen die Veranstaltungen nicht zum Kerngeschäft gehören. Im Mittelpunkt stand in den letzten Tagen eher die Frage, ob und wie wir den Laden überhaupt öffnen können. Was wir in den nächsten Tagen ausbauen, sind unsere Möglichkeiten für digitale Beratung auf allen Kanälen. Das heißt, wir werden vermutlich nicht nur telefonisch und via Mail, sondern auch über Instagram, Facebook und Twitter Bücher empfehlen.
Mit unserem Label blauschwarzberlin sind wir weniger von den Einschränkungen betroffen, denn unseren Podcast können wir natürlich trotzdem produzieren. Die nächste Folge nehmen wir am Donnerstag auf. Wenn sich die Situation in Zukunft verschärft, kann es sein, dass wir statt monatlich einer Folge in Zukunft etwas mehr machen. Was uns allerdings sehr trifft, sind die Absagen, bei denen wir als Moderator*in bzw. Seminarleiter*in gebucht waren. Hier gilt es, gemeinsam mit den Veranstalter*innen nach kreativen digitalen Lösungen zu suchen. Geplante Jury-Sitzungen werden beispielsweise als Skype-Konferenzen abgehalten. Ich wurde im Rahmen des Gastlandauftrittes von Kanada in diesem Jahr zur Buchmesse nach Quebec eingeladen. Das sollte jetzt im April stattfinden. Hier gehe ich fest davon aus, dass dieses Programm auch abgesagt wird. Für den Gastlandauftritt sind die Absagen solcher Programme (mit Messebesuchen, Verlagsführungen, Autor*innengesprächen, informellen Abendessen…) schwer digital zu ersetzen.
Anders gefragt: Habt ihr bereits digitale Pendants in Planung, die die Analog-Formate um- und konzeptionell trotzdem mitdenken?
Für uns ist es sicherlich von Vorteil, dass wir schon seit Jahren an unserer digitalen Präsenz arbeiten und beispielsweise das Ladengeschehen ständig digital spiegeln. Wir haben die sozialen Medien von Beginn an als Chance begriffen. Unsere Kanäle sind gut aufgestellt und wir erreichen auch in Zeiten, in denen das analoge Leben stark eingeschränkt wird, unser Publikum. Der Shutdown zwingt die Branche nun, wesentlich intensiver über die Vorteile digitaler Formate nachzudenken. Warum soll eine Kundenberatung nicht im Live-Chat stattfinden? Die technischen Möglichkeiten gibt es ja schon lange. Meine Kollegin Maria hat vor einiger Zeit einen digitalen Lesekreis gegründet, dem Folgen über 1000 Menschen und es gibt hunderte Kommentare zu jedem Buch. In solchen Ansätzen wird deutlich, wie sich das Beste aus beiden Welten verbinden lässt: Expertise, Persönlichkeit, Verfügbarkeit, Barrierefreiheit etc.
Wie, glaubst du, können Buchhandel und Verlage jetzt zusammenkommen?
In den letzten Tagen habe ich verstärkt Lesungsfolder für den Herbst via Mail zugeschickt bekommen. Das sind Instrumente, die normalerweise live auf der Messe ausgetauscht und besprochen werden. Außerdem finden zurzeit verstärkt Termine am Telefon statt. Das geht für die Veranstaltungsplanung des Herbstes auch ganz gut. Wie sich die Lage beispielsweise für den Einkauf entwickelt, kann ich nur vage einschätzen. Für VLB-Tix bedeutet die Virus-Krise sicherlich den längst überfälligen Schub. Bevor es um die Kommunikation zwischen Verlag und Buchhandel geht, sollte allerdings die Frage nach Lieferketten im Vordergrund stehen, sprich: Liefern die Barsortimente noch aus? Wie erreicht das Buch den Kunden oder die Kundin? Tragen Paketdienste zur Verbreitung des Virus bei? Sind E-Reader mittlerweile auf einem akzeptablen technischen Standard angekommen? Das sind die sensiblen Punkte. Der Informationsfluss zwischen Verlag und Buchhandel ist schon länger nicht mehr auf den persönlichen Kontakt angewiesen. (Obwohl der persönliche Kontakt für vieles förderlich, aber für das Kerngeschäft nicht vorrangig ist.)
Möchtest du unseren Assoziierten, sächsischen Indieverlagen, etwas hinsichtlich des bevorstehenden digitalen Bücherfrühlings und -sommers mit auf den Weg geben?

Maria-Christina Piwowarski
& Ludwig Lohmann
Foto: © S. Hawlisch
Verliert den Mut nicht! Leser*innen brauchen in Zeiten der Isolation mehr denn je Eure Bücher. Und wir verkaufen die für euch. Der zweite Samstag im März war für uns einer der umsatzstärksten Tage in diesem Jahr. Wir sind nicht die Betreiber von Hallenbädern oder Konzertveranstalter. Wir leben von etwas, das jetzt viele Menschen brauchen: Bücher. Lasst uns die Isolation auch als Chance begreifen!
Vielen Dank für das Interview und viel Kraft für die nächsten Wochen!
Das Headerfoto stammt vom Instagram-Account @ocelotberlin und wurde von Christiane Frohmann, auf Instagram @fraufrohmann, gemacht.